Interview mit Hendrik Wüst

Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

Fraunhofer-Magazin 1.2024

Hendrik Wüst, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen
© IMAGO/Lars Heidrich
Hendrik Wüst, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen

»Spitzenforschung ist der Treiber«

 

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst gilt als möglicher Kanzlerkandidat der Union. Im Interview fordert der 48-Jährige verlässliche Perspektiven für Wissenschaft und Wirtschaft.

 

Lassen Sie uns über die Zukunft reden, Herr Wüst: Welche Qualitäten braucht der nächste Bundeskanzler, um Deutschland aus den Krisen zu führen?

Vernunft, Entschlossenheit und Führungsstärke. Zudem muss er auch das umsetzen, was er verspricht. Es gibt zu viele Beispiele, in denen der amtierende Kanzler durch mangelndes Tempo oder geringen politischen Willen aufgefallen ist – nehmen wir den Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung oder die Kraftwerkstrategie. Auch wird die größte politische Herausforderung dieser Tage, das Thema Migration, viel zu zögerlich angegangen. Aktuelle Studien zeigen allen politischen Verantwortlichen, dass viele Menschen in Deutschland kein Vertrauen mehr in den Staat und seine Handlungsfähigkeit haben. Ich bin mir sicher, dass auch die Streitereien innerhalb der Bundesregierung dazu beigetragen haben.
 

Sprechen wir über die Gegenwart. Lohnt sich die Frage, ob ein Hendrik Wüst als Kanzlerkandidat der Union für 2025 zur Verfügung steht?

Fragen darf man alles.
 

Ich sehe schon, es ist schwierig. Werden wir konkret. Frage an den Rechtsanwalt Wüst: Schaffen Sie ein Plädoyer für den Wirtschaftsstandort Deutschland in drei Sätzen?

Deutschland zeichnet sich durch eine hochinnovative Wirtschaft, erstklassige Forschungslandschaften und eine starke industrielle Basis aus. Mit seiner zentralen Lage in Europa bietet es Unternehmen einen unvergleichlichen Zugang zu den Märkten der EU, verstärkt durch ein robustes Rechtssystem, das Investitionen und Innovationen schützt und fördert, und eine gut ausgebildete Bevölkerung. Um diese Stärken auch künftig ausspielen zu können, brauchen wir ein schnell wirksames Wachstumsprogramm, das steuerliche Verbesserungen, Entbürokratisierung, Bekämpfung des Fachkräftemangels und Senkung der Energiekosten umfasst.
 

Sind Wachstum und Klimaschutz Gegensätze?

Wir müssen zeigen, dass beides geht: unser Klima schützen und Wirtschaftswachstum ermöglichen. Das bildet die Grundlage für gut bezahlte Arbeitsplätze, Wohlstand und eine stabile Gesellschaft. Nur so werden wir nachhaltig und wirksam unser Klima schützen. Ansonsten fehlt uns die Akzeptanz für den Klimaschutz – bei uns und weltweit. Wir werden andere Länder nicht vom Klimaschutz überzeugen können, wenn wir nicht gleichzeitig zeigen, dass wir wirtschaftlich und industriell stark bleiben. Was wir hierfür brauchen, sind politische Rahmenbedingungen, die Innovationen im Klimaschutz vorantreiben und Investitionen in saubere Technologien anziehen.
 

In Ihrem Bundesland prallt beides auf­einander: Sie haben viel Chemie, viel Stahl, viel Kohle. Und Sie haben einen grünen Koalitions­partner. Was ist Ihr Weg?

Wir haben uns in Nordrhein-Westfalen vorgenommen, das erste klimaneutrale Industrieland Europas zu werden – und wir sind bereits auf einem guten Weg. Ein Beispiel: In Duisburg soll zukünftig grüner Stahl mit Wasserstoff statt Koks erzeugt werden. Als Landesregierung haben wir diese Investition mit der größten Einzelförderung in der Geschichte des Landes unterstützt, um zu zeigen, wie Wachstum und Klimaschutz zukunftsorientiert versöhnt und lange Wertschöpfungsketten im Land gehalten werden können.
 

Wie kann die Forschung helfen?

Sie spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Spitzenforschung ist der Treiber für Innovationen, die wir brauchen, um wichtige Herausforderungen zu bewältigen – sei es bei der Energiewende, der Digitalisierung oder dem medizinischen Kampf gegen Volkskrankheiten wie Krebs und Demenz.
 

Wie kann der Forschung geholfen werden?

Wir sorgen für verlässliche Rahmenbedingungen und investieren in unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen, damit sich Forschung frei entfalten kann und wir als Standort für Spitzenforschung attraktiv bleiben. Und wir fördern Vernetzung, zum Beispiel mit EIN Quantum NRW oder mit KI.NRW (Red.: zentrale Anlaufstellen für Quantentechnologien und Künstliche Intelligenz).
 

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft gerade auch für die Stahlindustrie. Fraunhofer und die Salzgitter AG arbeiten in einem Projekt bereits an der Umsetzung. Was muss die Politik tun, um die Dekarbonisierung der Schwerindustrie voranzutreiben?

Wasserstoff wird eine Schlüsselrolle spielen, um die Schwerindustrie auf einen nachhaltigen und klimafreundlichen Weg zu bringen. Hier gibt es drei wesentliche Maßnahmen, die ergriffen werden sollten: Erstens ist es entscheidend, Forschung und Entwicklung gezielt zu fördern. Das von Ihnen genannte Projekt ist sicherlich ein gutes Beispiel. In Nordrhein-Westfalen haben wir die bundesweit einzigartige Plattform IN4climate.NRW geschaffen, bei der Industrie, Wissenschaft und Politik zusammenarbeiten, um innovative Strategien für eine klimaneutrale Industrie zu erarbeiten. Zweitens muss ein klarer rechtlicher und regulatorischer Rahmen geschaffen werden, der den Einsatz von Wasserstofftechnologien erleichtert. Drittens ist es wichtig, wirtschaftliche Anreize zu setzen, die den Übergang zur Dekarbonisierung für Unternehmen attraktiv machen. Dazu gehören beispielsweise Steueranreize, aber auch die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue, klimafreundliche Investitionen.
 

Die Bundesregierung hat die Mittel für die Batterieforschung um 75 Prozent gekürzt. Was bedeuten die Streichungen für die Batterieforschung in Deutschland?

Die Erforschung und Entwicklung leistungsfähiger Batteriespeicher ist ein Schlüssel zum Erfolg der Energie- und Verkehrswende. Sie muss nachhaltig gestärkt werden und bedarf einer dauerhaften, verlässlichen Finanzierung. Der Bund ist aufgefordert, die ursprünglich über den Klima- und Transformationsfonds geplante Forschungsförderung neu aufzustellen. Wissenschaft und Wirtschaft brauchen eine verlässliche Perspektive.
 

Was kann für die schnellere Hochskalierung alternativer Batterietechnologien getan werden?

Eine Schlüsselrolle spielen auch hier Partnerschaften zwischen Forschung und Industrie, um den Technologietransfer zu beschleunigen und Innovationen schnell zur Marktreife zu bringen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Fraunhofer-Forschungsfertigung Batteriezelle FFB in Münster. In der FFB PreFab, die in Kürze eröffnet wird, wird eine Musterlinie für die komplette Batteriezellproduktion im kleinen Maßstab aufgebaut, die einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zum Industriemaßstab darstellt. Die FFB Fab wird dann die Anwendung von Anlagentechnologien im großindustriellen Maßstab zur Fertigung vollständiger Batteriezellen ermöglichen. Diese Projekte illustrieren, wie durch gezielte Investitionen in Forschung, Entwicklung und die Schaffung von Prototyp-Anlagen die Brücke zwischen Forschung und Massenproduktion geschlagen werden kann.
 

Ihr Bundesland gilt als eines der Zentren für KI-Forschung in Deutschland. Wie kann Europa im Wettbewerb mit den USA, im Wettkampf mit China bestehen?

Für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen steht fest: »KI made in NRW« soll den Dreiklang aus Spitzenforschung, Innovationsgeist und Unternehmertum vereinen. Ein wichtiger Schlüssel hierfür ist es, bestehende Qualität noch besser zu vernetzen. Dabei hilft uns die Kompetenzplattform KI.NRW, die vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin bei Bonn geleitet wird, einem der europaweit führenden Forschungsinstitute auf den Gebieten der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens.
 

Sie haben auf Bundesebene eine »erdrückende Langsamkeit« ausgemacht, die Menschen an der Handlungsfähigkeit des Staates zweifeln lässt. Wo sind Sie in NRW schnell?

Wir haben mit mehreren Entfesselungspaketen viel Bürokratie abgebaut. Aber wir sind immer wieder auf bundes- und europarechtliche Grenzen gestoßen. Daher bin ich froh, dass es gelungen ist, einen substantiellen Bund-Länder-Pakt zu Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung zu verhandeln. Dieser muss jetzt schnell umgesetzt werden. Aber wo wir als Land alleine handeln können, tun wir das natürlich: Wir sind bundesweit führend bei der Genehmigung von Windenergieanlagen. Für den Stromnetzausbau haben wir die Bezirksregierungen personell gestärkt. Und bei der Digitalisierung gilt unser Wirtschafts-Service-Portal.NRW als bundesweit vorbildlich. Ein ganz konkretes Beispiel, bei dem wir wirklich schnell waren: beim FFB PreFab in Münster. Nur neun Monate Bauzeit, Ende vergangenen Jahres die Übergabe an Fraunhofer, Ende März Inbetriebnahme. Und auch der zweite Bauabschnitt schreitet in großen Schritten voran. Aber klar ist: Auch in Nordrhein-Westfalen bleibt noch viel zu tun – und wir machen weiter Tempo.

 

Für welche Forschungsschwerpunkte würden Sie in einer CDU-geführten Bundesregierung kämpfen?

Ob in Nordrhein-Westfalen oder im Bund: Innovation ist ein zentraler Pfeiler für eine zukunftsfähige Wirtschaft und Gesellschaft. Hieran sollte sich Forschungspolitik ausrichten, unabhängig von der politischen Ebene.
 

Sie haben die AfD als politischen Hauptgegner verortet. Sind echte Lösungsangebote für Zukunftsängste nicht vielleicht das beste Mittel, um Populismus den Boden zu entziehen?

Ja. Nur in der demokratischen Mitte können wirklich tragfähige Lösungen für Probleme gefunden werden. Sie müssen aber auch angegangen werden. Wir haben in den letzten Wochen zudem enormes zivilgesellschaftliches Engagement gegen die AfD, gegen Rechtsex­tremismus und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und die Demokratie erlebt. Das beweist: Die AfD spricht nicht für die schweigende Mehrheit, so wie sie das immer behauptet hat. Wir müssen die AfD inhaltlich stellen und dabei eine klare Haltung zeigen. Das heißt vor allem, dass wir den Menschen zeigen, welche Folgen und Auswirkungen AfD-Politik auf ihr alltägliches Leben hätte – zum Beispiel für Arbeitnehmer oder den Sozialstaat. Wenn man das alles näher beleuchtet, sieht man, dass die AfD eine Gefahr für unseren Wohlstand und für unsere Demokratie bedeutet. Das sehen wir allein bei der Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union.
 

Sie wurden, entschuldigen Sie die Wertung, mit 45 Jahren ein später Vater. Verändert Ihre Tochter Ihren Blick auf die Zukunft?

Natürlich verändert das Vatersein den persönlichen Blick auf die Welt. Es hat ja auch neue Aufgaben mit sich gebracht, schöne Aufgaben. Meine Tochter führt mir jeden Tag vor Augen, was Entscheidungen für die Zukunft bedeuten. Dazu gehört auch die Frage, wie wir heute dazu beitragen können, noch bessere Lebenschancen für die Welt von morgen möglich zu machen. Die Lebenserwartung heutiger Kleinkinder ist höher, als die Bundesrepublik alt ist. Das macht einerseits demütig. Aber es spornt auch an, alle Möglichkeiten zu nutzen, für alle Kinder heute die Fundamente zu legen, in jeder Hinsicht ein gutes Leben führen zu können.
 

Sind Sie zuversichtlich für das Land, in dem Philippa aufwachsen wird?

Was Nordrhein-Westfalen betrifft: Wir haben alle Chancen, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Was meine Person angeht: Ich gebe jeden Tag mein Bestes.